Mittwoch, 4. November 2009

Spontane Rede beim Erstsemesterempfang in der Kongresshalle am 3.11.2009



Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,


In all den Begrüssungsworten und offiziellen Willkommensreden, die Ihr in eurer bisherigen Hochschulkarriere erleben durftet, wurde wahrscheinlich IMMER hervorgehoben, dass ihr die richtige Wahl getroffen habt, weil Augsburg ein super Studienort ist, bayerische Hochschulen quasi per se die Spitze der Wissenschaft repräsentieren und auch der Bachelorabschluss mittlerweile optimistische Zukunftsprognosen erlaubt. Zustimmung, Eigenlob und Qualität wohin man hört. Ich möchte jetzt nicht sagen, alles glatt gelogen - aber es kommt meiner Meinung schon ziemlich nahe, denn dass dies mit Sicherheit nicht die Wahrheit ist, zumindest nicht die Ganze, wisst Ihr mit euerm Bauchgefühl genausogut, es wird nur nicht offiziell darüber gesprochen, deshalb nehm ich mir jetzt zwei Minuten diese Freiheit heraus.

Was bedeutet Studium ursprünglich? Das Studium sollte eine Erziehung zur Mündigkeit sein, als Mensch und als Wissenschaftlerin. Diese Mündigkeit ist aber mitunter nur herzustellen durch eine Erziehung zum Widerspruch und zum Widerstand. Nur dadurch kann sich das, was der Philosoph Immanuel Kant meinte, wenn er sagt, Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, aktualisieren. (ihr alle kennt das Zitat) Von dieser Erziehung zum Widerspruch und zum Widerstand, der Fähigkeit Kritik auszuüben, ist derzeit in der deutschen Hochschullandschaft leider nichts mehr zu sehen.

Heute gibt es fast ausschließlich eine Nachfrage nach Anpassung und Flexibilität, nach instrumenteller/praktischer Vernunft, nach Aus-bildung. Die Universität bedient primär baldnur noch privatwirtschaftliche Variablen (Geist des sog. Neoliberalismus) und kennt keine gesellschaftspolitischen oder kulturellen Zielsetzungen mehr. Darin aber liegt ihr
eigentlicher Sinn, ihre wesenhafte Aufgabe. Sie sollte auch Reflexion und Korrektiv der gesellschaftlich-historischen Prozesse sein. Die ehemalige Autonomie der Hochschule, eine akademische Selbstverwaltung, ist heute dem universellen Zwang der
Selbstvermarktung gewichen. Die Drittmittelakquise, also das Geld was die Unis für erbrachte Leistungen von der freien Wirtschaft erhalten, zeichnet heute den Erfolg von Wissenschaft aus. In gleichem Atemzug ist auf die sich eklatant steigende Hochschulwerbung hinzuweisen. Wer wird nicht gerne durch ein freundliches „Enjoy your meal“ von O2 in der Mensa begrüßt, oder vom Bayerischen Rundfunk darum gebeten ihn zu hören, weil er sonst sterben müsse, oder legt mal im Vorbeigehen schnell alle seine privaten Daten für ein Marktforschungsunternehmen offen, um an dem Gewinnspiel für ein einmaliges 600-Euro Stipendium teilzunehmen? - Das ist doch alles Lächerlich!
Apropos Lächerlich - die eine oder der andere von Euch wird die letzten Tage vielleicht Post vom CHE, das ist das Zentrum für Hochschulentwicklung - einer 100%igen Bertelsmann Konzerntochter erhalten haben, um bei der Evaluierung ihres/seines
Studienganges mitzuhelfen. Das CHE installiert durch den Rankingzwang einen Konkurrenzkampf wo keiner sein darf und war hauptverantwortlich für Studiengebühren, Bildungsprivatisierung und die aktuelle Umsetzung des Bologna Prozess. Ich kann nur den Boykott des Rankingfetischs empfehlen.

Die Modularisierung, also die Umstellung auf Bachelor und Master, geht einher mit einer
massiven Steigerung Von Lern- und Leistungsdruck, gepaart mit Kontrolle und
unkritischem Denken. In sechs Semestern kann man sich keine Urteilsfähigkeit über das
studierte Fach erarbeiten, aber dies wird dann als indivuduelles Problem gesehen, Nein -
Eine sofortige Veränderung muss sein, Master für alle, ohne Zugangsvoraussetzung oder
sonstige Kriterien. Wir Studierenden sind Beteiligte, angehende Wissenschaftlerinnen und nicht Unbeteiligte konsumierende Kunden. (Sollten es zumindest sein) Deshalb auf ein kurzes Wort zu den studentischen Partizipationsmöglichkeiten innerhalb der Universitätspolitik. Dazu muss man wissen, dass in Bayern die verfassten Studierendenschaften 1973 abgeschafft wurden. Das heisst die studentischen Vertretungen sind Keine Körperschaften des öffentlichen Rechts und haben auch kein finanzielles Budget. An der hiesigen Universität ist der Asta (vielleicht aus deshalb) mittlerweile zur studentischen Dienstleistungseinrichtung geworden und besitzt leider keinen eigenständigen politischen Subjektcharakter mehr. Diese prekäre Studentische Mitbestimmung spiegelt sich in Augsburg in den beiden höchsten entscheidenden Gremien wider. Mit nur einem Vertreter gegenüber 15 Professoren in der erweiterten
Universitätsleitung (Aufsichtsrat) bzw. externen (Wirtschafts)vertretern im Universitätsrat (Vorstand) sind wir Studierenden vertreten.
Eine weitere inakzeptable Auswirkung der nicht verfassten Studierendenschaft sind die Hiwi Jobs, also die studentischen Tutorien und Bürojobs die an der Universität Augsburg mit undankbaren 6,50 Euro Studentlohn vergütet werden, natürlich ohne Urlaubs- oder Weihnachtsgeld oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Eine doppelte Verarschung ist es, wenn man weiß, dass diese Jobs zum größten Teil aus Studiengebühren finanziert werden, die es jetzt ja seit mittlerweile 6 Semestern in Bayern, wie bis auf Hessen in allen anderen Unionsregierten Ländern, gibt. Die Studiengebühren sind das Tauschverhältnis von ökonomischem in kulturelles Kapital. Ich finde da folgenden Spruch ganz treffend: Das deutsche Bildungssystem ist wie ein Sieb, nur wer flüssig ist kommt durch. (Und dabei fängt die soziale Selektion ja nicht erst mit den Studiengebühren an, dann ist man ja (vermeintlich) schon ganz oben angekommen. Es gibt in der BRD ein Viergliedriges Schulsystem (Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Förderschule); nur 17 Länder in ganz Europa leisten sich so ein konservativ reaktionäres Bildungssystem, 16 davon liegen in Deutschland...

Und warum ist es alles so gekommen? Ein Blick in die Statistiken gibt Antworten: Der Anteil der Hochschulausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist von 1%, im Jahre 1970) auf 0,85% im Jahre 2000 gefallen, bei gleichzeitiger Verdopplung der Studierendenzahlen. Der gesamte Bildungshaushalt liegt für Deutschland aktuell bei lediglich 4,5% des BIP und damit fast einen Prozentpunkt unter dem OECD Durchschnitt. Das ist eine politische Entscheidung!

Wo sich ebenfalls ein eklatantes Missverhältnis feststellen lässt, ist die Frauenquote bei den Professorinnen. Die BRD belegt dort mit 15% Frauenanteil den vorletzten Platz in Europa; in Augsburg beträgt diese versteckte Diskriminierung „nur“ 18%. Hinweisen möchte ich auch auf die an allen Hochschulstandorten vertretenen rechtskonservativen chauvinistischen Burschenschaften und Verbindungen, die immer bei den Studienbeginnern auf Nachwuchsjagd gehen, Ihr werdet sie nachher im Foyer kennen lernen, das sind die Herren mit den lustigen Schärpen um den Bauch.

Mit Besagtem war es allerdings nicht meine Absicht Euch das Studium in Augsburg madig zu machen, sondern eben nur die dortigen Schattenseiten bewusst mitzuteilen.

In diesem Sinne,

Lasst euch nicht entmutigen,
Lasst euch nicht entmündigen,
Bewahrt euch die Kritikfähigkeit und behaltet Euer Unbehagen nicht für Euch!
Viel Glück und Bühne frei!

5 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Teils richtig, teils aber falsch.

Die Hiwigehälter sind auf sagenhafte (Ironie) 7 bzw 7,50 € pro Stunde angehoben worden.

Der AStA verfügt über ein eigenes Budget. Dass er sparen muss liegt an ein paar Dübeln, die meinten 2003 ein ruinöses Festival aufm Campus veranstalten zu müssen.

Man betrachte außerdem mal die neue Struktur des AStA. Es wird auffallen, dass keine Service-Referenten Schwemme mehr besteht und die fünf Sprecher des Konvents sich einzig auf die Hochschulpolitik konzentrieren.

Unknown hat gesagt…

Ergänzend noch: es gibt eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Hiwis.

as hat gesagt…

Zur "Service-ReferentInnen-Schwemme": Schwulen- und Frauen-Lesben-Referate sind alles andere als Service-Referate, schon allein auf Grund ihrer Geschichte, dass diese Referate im Zuge von politischen Bewegungen gegen Homophobie und Sexismus entstanden. Und da Homophobie und Sexismus auch heute leider keineswegs der Vergangenheit angehören, sind sie auch nach wie vor POLITISCH notwendig. Genausowenig kann man ein Öko-Referat einfach als "Service-Referat" abtun, das mag vielleicht für solche "Innovationen" der letzten Jahre wie das Sportreferat gelten. Der aktuelle Asta hat nicht die Service-Ausrichtung der letzten Jahre abgeschafft, sondern vor allem eine ernsthafte strukturelle Verankerung und Mitsprache der letzten verbliebenen sich (halbwegs) politisch verstehenden Referate. Dass dem neuen Asta der Unterschied selber nicht mal auffällt spricht nur dafür, wie sehr diese Leute das ganze ideologische Gewäsch von "Verschlankung", "Effektivitätssteigerung" und "Rationalisierung" gefressen haben.

Unknown hat gesagt…

Klingt ja fast so, als hättest du keinerlei Ahnung wie es tatsächlich im AStA zuging.
Ein politisches Verständnis der Referate scheint es wohl nur in den Träumen einiger Leute gegeben zu haben.

Schön aber, dass du Ideologien ansprichst. Damit liest sich dein Beitrag recht ironisch. :)

jensel hat gesagt…

for Präsident ..

wie geil, wie geil ...

 
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