Dienstag, 29. Januar 2008

aus: SpiegelOnline - Unispiegel vom 29.1.2008



STUDENTENJOB HURE

Auf der Uni dank Liebeslohn

Von Birger Menke

Laura ist 18, an einer Pariser Uni eingeschrieben und kann sich das teure Studium nicht leisten - kein Stipendium, mieser Nebenjob. Adieu, Unschuld: Laura sucht sich Kunden im Internet. Bis zu 40.000 Studentinnen in Frankreich verdienen wie sie als Hure ihr Geld.

Hamburg - "Nicht einmal eine Bohne zu essen, unbezahlte Rechnungen und die ausstehende Miete, nie einen Cent in der Tasche, zum Schwarzfahren gezwungen. Es war ein unerträgliches Leben", schreibt Laura D. Das Leben, von dem sie in ihrem Buch "Mes chères études" ("Mein teures Studium") berichtet, spielt in ihrem ersten Jahr als Studentin. Weil ihre Erinnerungen intime Bekenntnisse sind, verschweigt sie ihren Nachnamen. "Mes chères études" ist eines von zwei Büchern, die jetzt in Frankreich zu dem Thema erschienen sind und für einen Skandal gesorgt haben.

Deutscher Protest gegen Studiengebühren: Bis zu 40.000 Hochschülerinnen prostituieren sich in Frankreich
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DPA

Deutscher Protest gegen Studiengebühren: Bis zu 40.000 Hochschülerinnen prostituieren sich in Frankreich

Laura ist 18, als sie sich an einer Pariser Universität einschreibt. Italienisch und Spanisch. Nebenbei jobbt sie in einem Callcenter, 15 Stunden die Woche, schlecht bezahlt. Ihre Eltern verdienen zu wenig, um sie zu unterstützen, aber zu viel, wenn es nach den Bestimmungen für staatliche Hilfen geht. Studiengebühren, die explodierenden Mietpreise in Paris, der Wunsch nach Genuss im Leben - Laura kann sich das Studium schon nicht mehr leisten, bevor sie ihre ersten Scheine in Händen hält.

"In der Metro zittere ich aus Angst, einen Kontrolleur zu sehen, und frage mich, wie ich den Monat überstehen werde", notiert sie. Ihren Kommilitonen erzählt sie nichts über ihre finanziellen Sorgen - über Geld spricht man nicht, das gilt auch unter Studenten. Ohnehin werden die Möglichkeiten, sich mit ihnen auszutauschen, selten: Wenn sich Freunde im Café oder in einer Bar treffen, sagt sie ab, sie kann sich nichts leisten, mit dem sie anstoßen könnte. "Das wäre alles kein Problem, wenn ich etwas zu essen hätte, wenn ich nicht hungrig wäre."

Bis sie im Internet surft, nach Lösungen sucht. Sie schreibt sich in ein Portal ein, Zugang ab 18, gibt als Namen kein Pseudonym, sondern Laura an, sie will sich treu bleiben, und stößt schon bald auf ihre künftigen Kunden: Männer, die meisten jenseits der 50. Sie annoncieren, suchen "junge Frauen", "zärtliche Stunden" und "Massagen". Sie sucht Geld, schnelles Geld. "In jedem Leben gibt es eine Nacht, in der man sehr schnell reift. Nichts ist danach wie zuvor. Adieu Unschuld", schreibt Laura in ihrem Buch.

Der Beginn eines Doppellebens

Die meisten Studentinnen sind erst über das Internet, wo Kontakte diskret und anonym begonnen werden können, zu dem Nebenjob als Prostituierte gekommen. Eva Clouet ist selbst noch Studentin, hat aber schon eine Studie über das Tabuthema veröffentlicht. "La prostitution étudiante" ("Die studentische Prostitution") erschien am selben Tag wie die Bekenntnisse von Laura D. Die 23-jährige Clouet suchte auf Seiten von "Escort-Damen" und wurde fündig: "Studentinnen im dritten oder vierten Jahr, sie treffen ihre Kunden ein oder zwei Mal im Monat, verheiratete Männer zwischen 40 und 50", so Clouet.

Lauras erster Kunde heißt Joe, ein Pseudonym, er ist 50 Jahre alt. "Ein Mal, nicht mehr", sagt sie sich vorher. Joe wünscht sich in seiner Annonce eine Massage, im Hotel will er mehr. Sie willigt ein. 250 Euro verdient sie an diesem Abend, der Beginn eines Doppellebens, das sie offenbar nicht zum Ausnahmefall macht: Die Studentengewerkschaft SUD hat im Jahr 2006 geschätzt, dass sich von den insgesamt 2,2 Millionen Studenten in Frankreich etwa 40.000 prostituieren, die französische Polizei geht immerhin von bis zu 20.000 aus.

Auch in England ist das Thema bekannt: Eine Studie der Universität im englischen Kingston ist zum Ergebnis gekommen, dass zwischen 2000 und 2006 die Zahl der Studenten, die mit Prostitution oder Jobs in der Sexindustrie ihre Studiengebühren finanzieren, um 50 Prozent gestiegen ist. Zehn Prozent der Befragten gaben an, Bekannte zu haben, die als Stripperin, Masseusen oder Prostituierte arbeiten. In Deutschland bleibt Prostitution unter Studentinnen offenbar eine Phrase, die auf den Dekolletés von Demonstrantinnen geschrieben steht. "Dass es Einzelfälle gibt, kann ich nicht ausschließen, aber Prostitution halte ich nicht für ein Massenphänomen", sagt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk.

Laura antwortet heute auf keine Annonce mehr. Sie verdiente zuletzt 400 Euro pro Abend, doch das war es ihr nicht mehr wert, auch wenn sie der Reiz des schnellen Geldes nicht ganz losgelassen hat. "Ich weiß, dass ich nicht zurück will, aber ich weiß auch, dass das nicht leicht wird."

1 Kommentar:

Anna hat gesagt…

Spätestens jetzt, mit dem Buch "Fucking Berlin" von Sonia Rossi, steht fest das Prostitution für Studiengebühren auch in Deutschland nicht nur aus Demo-Phrasen besteht.

 
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