Freitag, 26. Oktober 2007

Das Lebenselixier der Utopien

Nach der Lektüre der letzten Presstige und der darin wiedergegebenen Meinung über den Boykott und den Protest gegen die Studiengebühren, drängt sich einem die Frage auf, ob sich heutzutage wirklich lächerlich macht, wer sich kritisch mit den res publica, den Angelegenheiten des öffentlichen Lebens auseinandersetzt, und sich am Prozess der Meinungsbildung beteiligt.

Studentisches Engagement, welches vom derzeitigen epochalen Umbruch an den Universitäten berührt wird, und welches sich deshalb um Mitsprache und Mitgestaltung bemüht, ist nicht nur löblich, weil es uneigennützig geschieht, sondern es ist zugleich auch notwendig. Wer etwas verändern möchte muss das Jammern hinter sich lassen:

„Politik ist ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Es ist ja durchaus richtig, und alle Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.“ Damit verleiht Max Weber der Gesellschaftsutopie eine neue Bedeutung. Utopie heißt zwar im Griechischen Nirgend-Ort, aber nicht Nirgend-wann. Nirgend-Ort deshalb, weil es keinen solchen Platz auf der Welt gibt – aber doch nur momentan noch nicht.

Der Blick in das Geschichtsbuch zeigt beispielshalber: Die Sozialversicherungen, 1883 dem Kaiser abgerungen! Oder der Achtstundenarbeitstag, 1918 im Stinnes-Legien-Abkommen vereinbart, in einer Zeit des großen Umbruchs! Beide waren nur deshalb möglich, weil in den Köpfen der Menschen Platz für diese „Utopien“ war. Aber an eine Utopie zu glauben, setzt bereits Glauben voraus – und das ist mehr als eine optimistische Attitüde; denn oft gibt sich als optimistisch aus, was in Wahrheit mehr gleichgültig ist:

Wer sagt, „ich bin optimistisch, dass zukünftige Studenten schon einen Weg finden werden, zu studieren“, der distanziert sich selbst von den Problemen, ohne Handlungsbedarf zu sehen, solange das eigene Interesse, sprich: das eigene Studium nicht gefährdet ist. Wer aber sagt, „ich glaube, dass Studiengebühren und die Ökonomisierung von Bildungseinrichtungen erhebliche Auswirkungen auf die Gesellschaft haben, und ich glaube, dass die aufgeklaffte soziale Schere sich wieder schließen muss, für eine gerechtere Gesellschaft“, der drückt damit mehr Selbstbetroffenheit und auch mehr Willen zur Veränderung aus als jener.

Vor allem ist aber „Leidenschaft“ zum Bohren von solch „harten Bretter“ erforderlich, wie M. Weber bereits anmerkte.

Dass Universitäts-Präsident Bottke jedoch ganz im Gegenteil vollkommen „leidenschaftslos“ in Bezug auf die Höhe der Studiengebühren ist, wie er selbst von sich sagte, zeigt seine eingeschränkte Empathie mit den Studierenden, über welchen er steht. Dass die Frage nach den 300€ oder 500€ als Höhe der Studiengebühren im Universitäts-Senat gar nicht einmal diskutiert wurde, obwohl es diese Möglichkeit gibt, beweist doch traurigerweise, dass uns der Glaube an Utopien heute schwerer fällt denn je.

Doch wie anders könnten wir den Herausforderungen unserer Zeit sonst begegnen? Wie könnten wir uns jeden Abend zu Bette legen, ohne zu glauben, dass Morgen ein neuer Tag anbreche, der im Heute noch keinen Platz hat – noch eine Utopie ist!

1 Kommentar:

as hat gesagt…

"Studentisches Engagement ... ist nicht nur löblich, weil es uneigennützig geschieht"

Nur eine kurze Anmerkung: Zunächst ist die Abschaffung der Studiengebühren für mich kein uneigennütziges Anliegen, sondern mein ureigenstes, weil ich direkt davon betroffen bin. Genauso von Prozessen wie der zunehmenden Verschulung der Uni, dem Wegfall kritischer Inhalte usw.
Die Vorstellung, dass nur "uneigennütziges Engagement" wertvoll sei, "interessegeleitetes" dagegen abzulehnen, ist eine klassisch bürgerliche Vorstellung. Genau WEIL in der bürgerlichen Gesellschaft jedeR um den Preis seines/ihres Überlebens bzw. Wohlergehens gezwungen ist, immer zuerst an sich zu denken, wird das "Uneigennützige" auf ein Podest gestellt und die schnöde (materielle) Interessiertheit geächtet.
Eine kritische Position kann nicht darin bestehen, diese Trennung zu reproduzieren. Statt zu fragen, ob ein Engagement eigennützig oder uneigennützig erfolgt, ist nach dem Ziel des Engagements zu fragen und der Eignung der dafür verwandten Mittel.

 
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